Anastasius Grün                     Römischer Wegweiser

1806 – 1876

Wenn, deutsche Herzen, deutsches Land zu spalten,

Aufs neu die Blitze sprühn vom Vatikane,

Seh ich im Geist als Vorbild, das ich mahne,

Zwei deutsche Freunde, die durch Rom einst wallten.

 

Getrennt, verspengt im Menschenozeane,

Sucht irrend Freund den Freund – vergeblich Walten!

Bis von Sankt Peter Glockenrufe hallten,

Der Pontifex sich zeigt auf dem Altane.

 

Er spendet Segen, schleudert Bannesstrahle,

Aufs Knie sinkt alles Volk mit einem Male,

Sich beugend vor dem Haupt tiar’umwunden;

 

Wie Säulen blieben nur zwei Männer stehen,

Die Freunde sind’s, sie haben sich ersehen

Und, aufrecht stehend, wieder sich gefunden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Philomele

1806 – 1876                                        1848

 

Nicht im Orkane singt die Philomele,

Sie lauscht im Buschverstecke, wie’s gewittert,

Wie Sturm die Orgel schlägt und Eichen splittert;

Das Grauen schnürt ihr zu die zarte Kehle.

 

Der Sturm doch bleibt gewonnen ihrer Seele. –

Wenn Tau und Duft um deine Rosen zittert,

O Mainacht, mondgekrönt und sternbeflittert,

Dann jauchzt ihr Sang durch deine Blütensäle.

 

Und weißt du gut mit feinerm Ohr zu lauschen,

So hörst du nur den Sturm von damals rauschen,

Durch ihre Kehle jene Donner schmettern;

 

Du hörst den Angstschrei, banges Wipfelsausen,

Den nahen raschen Schlag, ein fern verbrausen, -

Doch süßer Wohllaut nur rollt in den Wettern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     „Poesie der Zukunft“

1806 – 1876                                        1850

 

Wo sie die wilde Schlacht geschlagen haben,

O lauscht nicht auf dem Feld nach Lerchensange!

Da kreischt die Krähe nur nach blankem Fange,

Dann kommen erst die Geier und die Raben;

 

Sie kommen zu beerben, zu begraben;

Dann kommt Erstarrung, Schweigen, lange, lange,

Bis spät der Sämann kommt vom nächsten hange,

Zu streuen seines Saatkorbs neue Gaben.

 

Als läg’ im Körnlein eine Liederseele,

Erhebt sich dann aus seinem Ährenmeere

Die Lerche, eine sangbegabte Ähre. –

 

„Wann steigt aus goldner Saat die goldne Kehle?“

Mich dünkt, die Toten sind noch unbegraben,

Noch währt die Zeit der Geier und der Raben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Moderne Panazee

1806 – 1876                                        1855

„Eripuit coelo fulmen, sceptrumque tyrannis.“

 

Es geht durchs All ein unerhörtes Wettern,

Der Blitz umzüngelt den gehäuften Zunder;

Wie fallen sie so schnell aufs Knie jetzunder,

Wie flink bekreuzen Basen sich und Fettern!

 

Des Schlags gewärtig, der den Erdenplunder

In Lüfte sprengte, winseln sie nach Rettern,

Nachstammelnd des Vorbeters heil’gen Blättern;

Er ist ihr Paraklet, ihr Hort, ihr Wunder!

 

Mir wär’s ein Größrer, der in den Gewittern,

Ein andrer Franklin, mit gefeiter Spitze

zur Zinne klömm’, indes sie unten zittern;

 

Auf daß er, wie das Zepter den Tyrannen,

Dem Himmel auch entwinde seine Blitze,

Bis sie am eh’rnen Stab machtlos zerrannen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Der erste Zeichner

1806 – 1876

 

I.

 

Zwei Hirtenkinder, Knab’ und Mädchen, spielen

Am Felsen bei erloschner Feuerstelle,

Die glatte Steinwand zeigt in Sonnenhelle

Die Schatten von zwei kindlichen Profilen.

 

Der Shwester Anmut fesselt den Gespielen

Im Dunkelbilde selbst. Daß es zu schnelle

Nicht fliehe mit des Lichtes flücht’ger Welle

Erkürt er sich der Kohlen Rest zu Kielen.

 

Mit schwarzem Stift verfolgt er die Konturen,

Die auf der Wand zur holdsten Form sich schlingen,

Und schmückt mit Lieblichkeit die Felsenwildnis.

 

Aus rauhem Steine, dunklen Kohlenspuren

Und düstern Schatten, - traun, unschönen Dingen! –

Erstand durch Kindeshand der Schönheit Bildnis.

 

 

II.

 

Von dieses Kindes rstem Künstlerlallen

Bis zu den Harmonien, die von den Schwingen

Des seraphs Raphael in Wonne klingen,

Welch unermeßner Flug, welch Steigen, Fallen!

 

Von diesem Fels bis zu den Bilderhallen

Des Vatikans, zu Pittis Wunderdingen,

Durch Dorn und Lorbeer welch ein Mühn und Ringen!

Welch weite Bahnen muß die Kunst durchwallen!

 

Ob sie an Arno siedle oder Elbe,

In Farben dichte, oder mal’ in Tönen,

Ihr Geist bleibt einer doch, ihr Ziel dasselbe:

 

Rauheit zu sänf’gen, Schatten zu versöhnen,

In holdem Bann die Schonheit festzuhalten,

Ihr Sterbliches zu Ew’gem zu gestalten.

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Wellenklänge

1806 – 1876

 

Wildbach

 

Reich ist das Meer! Gestirn’ und Sonne prägen

Ihr Bild in sein Brokatgewand; ihm wallen

Ins Becken, das voll Perlen und Korallen,

Zinspflicht’ge Ströme, schüttend Goldessegen.

 

Schmuckkästchen gleich die Silberflotten wägen,

es leert, zerschlägt sie spielend nach Gefallen!

Doch welche Botschaft macht so eilig wallen,

Wildbächlein, dich aus armen Waldgehegen?

 

„Reich ist das Meer, die Fürstin, die zum Feste

Kostbar geschmückt mit Stoffen, Steinen, Ringen;

Doch fehlt der Blumenstrauß ans Herz, das Beste!

 

Das Meer sehnt sich nach fernem Waldesbildnis,

Ich nahm es auf, ihm’s unentstellt zu bringen:

Der Schönheit Macht ergänzt die arme Wildnis.“

 

 

Waldsee

 

Da ruhst du, stiller See, im Waldesbette,

engherzig, selbstisch, unserm Weh verschlossen! –

„Weit übers Land war einst mein Born ergossen,

Jed irdisch Leiden spiegelnd um die Wette.

 

Da, zu entfliehn den Schmerzensbildern, flossen

Die Wasser scheu zu engbegrenzter Stätte,

Mir folgt’ als ob ein lieblich Los uns kette,

Der Wald und stellt’ ums Ufer seine Sprossen.

 

Sein grünster Frieden deckt mich mit dem Schilde;

Der Schmerz doch geht ins kleinste Haus zu Gaste:

Sieh dort das Nest an dürrem Zweige beben!

 

Bewegung und erstarren, Tod und Leben,

Die Weltgeschichte, spiegl’ ich in dem Aste

Und sinn’ in meinen Tiefen nach dem Bilde.“

 

 

 

Strom

 

Das Bächlein lärmt, ein spielend Kind am Pfad;

mit Lasten zieht der mächt’ge Strom indessen

Unhörbar fast, geräuschlos und gemessen,

Schweigsam dahin, ein Mann der Pflicht und Tat.

 

Sein Wort: das Brausen ganz nicht zu vergessen,

Mahnt ihn des Frachtschiffs Kiel, des Dampfers Rad;

Doch lauter tobt der Werkfleiß am Gestad’,

Des Marktes Ruf, Getös von Hämmern, Essen.

 

Nur wenn das Tagwerk ruht, lautlos die Menge,

Erhebt der Strom die Stimm’: ein heilig Rauschen!

Durch schweigend Dunkel zieht’s wie Orgelklänge;

 

Vernehmbar sei’s nur für die reinen Sterne

Und für die ernste Nacht! – Doch ihm auch lauschen

Mit Stern und Nacht schlaflose Träumer gerne.

 

 

 

Meer

 

Ein Frager fragt: Meer, deine Farbe nenne!

Bald bist du grün, als ob die Lenze sprossen,

Bald blau, als ob dich nichts vom Himmel trenne,

bald rot, wie blutend von Apolls Geschossen;

 

Nun grau, wie einer Wüste sand’ge Tenne,

Nun braun, von finsterm Bußgewand umflossen,

Goldhell, als ob dein Salz als Lava brenne,

Milchweiß, wie Mähnenflug von weißen Rossen!

 

Antwortet drauf das Meer: „O schlauer Frager,

Du hast gezählt an mir die Farben alle

Und wähntest doch, daß ich an Farben darbe!

 

Die Erde frag’: in welchem Hain ihr Lager?

Den Himmel frag’: mit welchem Stern er walle?

Der Farbenreichtum nur ist meine Farbe.“

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Erhörung

1806 – 1876

Die Rose sieht vorbei den Falter fliegen,

Sie selbst ein Schmetterling, nur festgebannt;

Da klagt sie: „Ach, wer löst mein fesselnd Band?

O könnt’ auch ich in Lüften frei mich wiegen!“

 

Der Falter sieht die Ros’ ins Laub sich schmiegen,

Er eine Blume selbst, die Flügel fand;

Da klagt er: „Hätt’ ich doch so sichern Stand!

O könnt’ ich so an fester Stätte liegen!“

 

Mit sonn’gem Lächeln hört der Lenz ihr Klagen,

Erhörung bringt nur der, vor dem sie zagen,

Der rauhe Herbst mit Frost und wildem Wetter;

 

Er gibt ihm sichre Statt, löst ihr die Kette:

Frei fliegen hin die welken Rosenblätter,

Der Falter liegt erstarrt an fester Stätte.

 

 

 

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Einem Hochtory

1806 – 1876

Die Zeit hat deiner Ahnen Burg zerschlagen,

Dein prunkend Pergament verzehrt in Bränden;

Was dir an Flittern blieb, wen soll’s noch blenden?

Ein Rest, nicht wert, des Volkes Haß zu tragen! –

 

Lord Spenser seliig ließ im Kirchturmjagen

Des Frackes einen Schoß in Dornstrauchs Händen,

Der andre trauert’ einsam an den Lenden,

Als säh’ Orest um Pylades man klagen.

 

Seltsam Kostüm dem Spotte der Genossen!

Der Lord, eingehend in des Dornstrauchs Possen,

Reißt flink den zweiten Flügel von den Weichen.

 

Sein Name schallt volkstümlich drum mit Lobe,

Ein neu Gewand bereichert die Gard’robe,

Drin steckt für dich ein Zettel: „Zu desgleichen!“

 

 

 

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Im Reichsrate

1806 – 1876

 

I.

 

„Poet, geschmiedet an die Staatsgaleere

Auf Lebenszeit, wo bleibt dein helles Singen?

Wenn mühsam nur die Ruder vorwärts dringen,

Sprich, wird zur Strafe nicht dir solche Ehre?“ –

 

Mir ist, als ob ich einst auf Adlerschwingen

Im Nu zu Alpenhöhn geflogen wäre;

Jetzt muß ich, keuchend unter Lastenschwere,

In Stein die Stufen brechend, aufwärts ringen!

 

Als Bergmann in die Tiefen einst gestiegen,

zu Hausrat jetzt und Paragraphendrähten

Muß des Gedankenschachtes Erz ich biegen!

 

Mein Tagwerk üb’ ich treu, doch muß ich beten:

Daß jene Schwinge mir nicht ganz entsinke,

Des alten Grubenlichts ein Strahl mir blinke!

 

 

 

II.

 

Und doch, und doch! – was liegt an deinem Liede,

Wenn rüst’gen Tagwerks Hammerschläge fallen,

Die edle Form zu schaffen vielen, allen,

Drin Männerwürde lebt und innrer Friede?!

 

Nicht Hausrat bloß, auch Waffen zum Entschiede,

Auch Schild und Schwert entflammen den Metallen,

Daß sie die Hütten schirmen, wie die Hallen,

Ihr Gut und Recht; - drum hämmre fort und schmiede!

 

 

Wohnt in den Tälern einst das Glück beim Volke,

Dann zieht die Sehnsucht euch nicht mehr zur Wolke,

Dann missest gern auch du die Adlerschwinge;

 

Und euer Werk verklärt zum Ehrenmale,

Statt deines Grubenlichts, mit vollerm Strahle

Die Weltensonne! – O daß es gelinge!

 

 

 

 

 

 

Anastasius Grün                     Zeitklänge

1806 – 1876                                        Im Sommer 1870

 

 

I.

 

Hoch auf dem Eisendraht am Schienengleise

Ein Vöglein sitzt. Wohin den Blick es wende,

Krönt Gottessegen reich den Fleiß der Hände;

Und heller, freud’ger trillert’s seine Weise.

 

Da wogt die Saat in grünem Wälderkreise,

Dort trägt der Rhein zum Meer die edle Spende,

Hier fließt das duft’ge Gold vom Rebgelände;

Wohl klingt sein Lied solch sonn’gen Gau’n zum Preise.

 

Das Vöglein ahnt nicht, daß zu seinen Füßen

Im Draht, unhörbar, Unheilsworte rauschen,

Die bald empor als Sturmgewölk hier steigen;

 

Nicht wäre sonst sein Lied solch jubelnd Grüßen!

Denn, könnt’ es jenen Sturmesboten lauschen,

Sein Haupt in Trauer müßt’ es schweigend neigen.

 

 

II.

 

Du hörst nicht, wie’s im Wort schon vorgewittert,

O Sänger auf dem Telegraphendrahte,

Wie mit der Untat prunkt der Diplomate,

Das Vätererb’ um neuen Raub versplittert;

 

Wie schnöde Ländergier, die Beute wiitert,

Sich sonnt im Treubruch, mästet im Verrate,

Wie Schelmenrat mitstimmt im Fürstenrate,

Vor Unrecht nicht, vor größerm Schelm nur zittert;

 

Wie jener ruft: „Du lügst, bei meinem Eide!“

Und dieser drauf: „Du Lügner selbst!“ entgegnet,

Doch jetzt zuerst die Wahrheit sprechen beide.

 

O Sänger, wie ich fast dein Lied dir neide,

Das fromm sich wiegt im Äther gottgesegnet,

Nichts ahnend von so ungeheurem Leide!

 

 

III.

 

Doch nein, o nein! – Wie arg das Leid auch wäre,

Ob um die Wipfel Nebeldünste jagen,

Die Sumpflust auf den Höhn soll nicht verklagen

Das Tal und seines Stromes Wellenkläre.

 

Im Tal, bei schlichtem Volke, will ich fragen

Nach Rettern, nach den Rächern deutscher Ehre:

Ha, wie Ein Wetterstrahl flammt alle Wehre,

Und Eines Sinns die herzen alle schlagen!

 

Wo solcher Zorn auf Männerstirnen lodert,

Solch edler Trutz das Recht, sein Recht nur, fordert,

Verzage, hüben, drüben, der Bedränger!

 

Wer dieses Volkes Ringen und Vollbringen

Einst jubelnd darf den freien Enkeln singen,

Sei mir begrüßt als glücklichster der Sänger.